Aalbesatzmaßnahmen – Sterblichkeiten beim Glasaalfang?
In einem aktuellen Beitrag des NDR zu Glasaalbesatzmaßnahmen im niedersächsischen Elbegebiet wird über Sterblichkeiten beim Glasaalfang von über 82 Prozent gesprochen. Dies suggeriert, dass eine derart hohe Sterblichkeit beim Fang normal sei und zugleich billigend beim Aalbesatz in Kauf genommen wird. Diese Sterblichkeitsrate wurde dabei im Jahr 2007 als Maximalwert in einer Studie bei einem einzigen Fischer ermittelt. Eine aktuelle Studie (https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jai.14292) greift nun die Sterblichkeiten der Glasaale beim Fang während der Jahre 2019 und 2020 auf. Diese Studie berücksichtigt auch die Variabilität verschiedener Glasaalfangbetriebe. Im Mittel liegt die aktuelle Mortalität beim Fang bei 7,4 Prozent. Es handelt sich um den NDR-Beitrag: Bleckede: Land setzt 300.000 junge Aale in der Elbe aus (Stand: 15. März 2023, Dauer: 2:50 Minuten) |
Hintergrund
Biologie des Aals
Nach heutigem Kenntnisstand handelt es sich beim Europäischen Aal um eine einzige Population, die in den Kontinentalgewässern von Skandinavien bis Nordafrika (einschließlich Mittelmeer und Ostsee) viele Jahre heranwächst und am Lebensende in der Sargassosee vor der amerikanischen Ostküste laicht. Die Larven wandern mit Strömungen über den Atlantik. An den Küsten Europas und Nordafrikas wandeln sie sich zu Glasaalen um. Mit Pigmentierung wandeln sie sich zu sogenannten Gelbaalen, die viele Jahre in den kontinentalen Küsten-, Brack- und Binnengewässern heranwachsen. Schließlich wandeln sie sich zu sogenannten Blankaalen um und wandern aus den Binnengewässern ins Meer und wieder über den Atlantik zur Sargassosee.
In Europa (und Deutschland) ist die natürliche Rekrutierung, also die Menge der an den Küsten ankommenden Glasaale, seit etwa 1980 auf heute nur wenige Prozent des Zeitraumes vor 1980 gesunken. Viele Gründe werden diskutiert, die Ursache ist bisher nicht klar.
Besatz als Maßnahme
Infolge des Bestandsrückgangs beim Europäischen Aal seit den 1980er Jahren wurde die Aalverordnung, kurz: Aal-VO (VO (EG) Nr. 1100/2007 des Rates vom 18. September 2007 mit Maßnahmen zur Wiederauffüllung der Bestände des Europäischen Aals) erlassen. Die Aal-VO verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Erstellung von Aalmanagementplänen (AMP) mit Maßnahmen zum Schutz und zum Aufrechterhalt einer Mindestabwanderungsmenge von Blankaalen. Die deutschen AMP wurden 2010 von der EU-Kommission genehmigt. Die AMP für die meisten deutschen Flussgebiete (und so auch für die in Niedersachsen relevanten Elbe, Ems, Weser und Vechte (Rhein)) enthalten Besatzmaßnahmen als eine wesentliche fischereiliche Maßnahme, deren Umfang sich an den Zielen der AMP bemisst. Seit 2011 werden daher in Niedersachsen zur Umsetzung der AMP Aalbesatzmaßnahmen gefördert. Hierbei erfolgen die Besatzmaßnahmen durch die Fischereiverbände und Fischereigenossenschaften, wobei eine Förderung mit EU- und Landesmitteln erfolgt.
Aktuell erfolgen in den niedersächsischen Gewässern des Aallebensraumes wieder Besatzmaßnahmen mit Glasaalen. Die für den Besatz vorgesehenen Glasaale werden vor allem in Frankreich gefangen. In einem Beitrag des NDR über Fang und Besatz der Glasaale äußern sich verschiedene Beteiligte aus der Fischerei sowie eines Naturschutzverbandes. Während zunächst auf den Grund für Besatzmaßnahmen eingegangen wird, werden ab etwa Minute 02:00 Sterblichkeiten beim Glasaalfang für Besatzzwecke „von über 82 Prozent“ genannt. Die Aussage suggeriert, dass dies der „Normalfall“ sei. Die genannte Sterblichkeitsrate ist dabei als Maximalwert im Jahr 2007 bei einem einzigen Fischer bei einer Studie ermittelt worden.
Im Jahr 2007, in einer Zeit, als ein wirtschaftliches Interesse sowohl an toten Glasaalen (zum direkten Verzehr) als auch an lebenden Glasaalen vorlag und zudem noch keinerlei Schutzmaßnahmen infolge der erst 2007 verabschiedeten Aal-VO einzuhalten waren, wurde bei einem einzigen Fischer während 15 Fangausfahrten eine Sterblichkeit für Glasaale beim Fang von 2 bis 82 Prozent (im Mittel 42 Prozent) ermittelt (Briand et al. 2012). Inwieweit die Studie an nur einem Fischereibetrieb damals repräsentativ für den gesamten Glasaalfang in Frankreich war, ist fraglich. Zudem zeigt sie, dass die Ergebnisse stark schwankten. Für Glasaalfischer war es damals völlig unerheblich, ob sie tote oder lebende Glasaale fingen, da sie beide gleichermaßen vermarkten konnten. Die fangbedingte Glasaalsterblichkeit von 82 Prozent wurde als Maximalwert in diesem Fall ermittelt und ist bisher an keiner anderen Stelle im Zusammenhang mit Glasaalsterblichkeiten bestätigt oder publiziert worden.
Besatzmaßnahmen zur Bestandsstützung als Maßnahme der AMP (und damit auch im Rahmen der Förderung) haben zum Ziel, dass die Aalbestände wieder aufgefüllt werden, damit zukünftig vermehrt Blankaale aus den Gewässern Europas zum Laichen ins Meer abwandern können. In den heutigen Fanggebieten (vor allem französische Atlantikküste) kommen allerdings auch heute noch mehr Glasaale an, als die dortigen Habitate vermutlich aufnehmen können (belegt ist dies bisher für einen kleineren Zufluss). In solchen Fällen entstehen hohe Bestandsdichten, die gewöhnlich zu hohen natürlichen Sterblichkeiten führen.
Insofern ist die Entnahme von Glasaalen aus diesen hohen Bestandsdichten grundsätzlich als unkritisch anzusehen. Der Besatz erfolgt in Flussgebieten, die heute kaum noch natürlicherweise von Glasaalen erreicht werden und in denen oft der Aufstieg durch Verbauungen unmöglich ist. Allerdings können diese Fang- und Besatzmaßnahmen von vor der Atlantikküste gefangenen Glasaalen insgesamt nur dann als sinnvoll angesehen werden, wenn die Sterblichkeiten durch Fang (zum Beispiel in Frankreich) und Transport und Besatz (zum Beispiel nach/in Deutschland, gegebenenfalls auch Zwischenzeit in Warmwasseranlagen) nicht höher sind, als sie beim Verbleib dieser Glasaale in den Fanggebieten wären. Hierbei spricht man vom Nettonutzen der Besatzmaßnahmen. Besatz wurde verschiedentlich kritisch diskutiert, ohne dass bisher Belege für oder gegen den Nettonutzen von Besatzmaßnahmen für den Aalbestand vorliegen.
Die oben genannte Studie aus dem Jahr 2007 wurde unabhängig von der fehlenden Repräsentativität für die Situation nach Inkrafttreten der Maßnahmen der AMP ab 2008 (beispielsweise Quotierung der Glasaalfänge in den Fanggebieten, Erarbeitung methodischer Anpassungen zur Gewährleistung eines nachhaltigen Fangs) jahrelang als Beleg für die fehlende Nachhaltigkeit von Besatzmaßnahmen herangezogen. Eine aktuelle Studie (Simon et al. 2022) greift nun die tatsächlichen Sterblichkeiten der Glasaale beim Fang während der Jahre 2019 und 2020 auf. Diese Studie berücksichtigt auch die Variabilität verschiedener Glasaalfangbetriebe. Im Mittel liegt die aktuelle Mortalität beim Fang bei 7,4 Prozent.
Die Aalbewirtschaftung und die Erfüllung der AMP gemäß Aal-VO setzen auf eine Stärkung und Erholung des Aalbestands, wobei Aalbesatz die zentrale Maßnahme ist.
Publikationen zur Glasaalsterblichkeit beim Fang
Briand, C., Sauvaget, B., Girard, P., Fatin, D., & Beaulaton, L. (2012). Push net fishing seems to be responsible for injuries and post fishing mortality in glass eel in the Vilaine estuary (France) in 2007. Knowledge and Management of Aquatic Ecosystems. https://doi.org/10.1051/kmae/2011080
Simon, J., Charrier, F., Dekker, W., & Belhamiti, N. (2022). The commercial push net fisheries for glass eels in France and its handling mortality. Journal of Applied Ichthyology, 38, 170–183. https://doi.org/10.1111/jai.14292