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Perfluorierte Tenside (PFT) in Wildschweinleber

Untersuchungen in Niedersachsen im Bundesweiten Überwachungsplan (BÜp) der Jahre 2007 und 2008


Zusammenfassung

Insgesamt 135 Proben Wildschweinleber aus Niedersachsen wurden in den Jahren 2007 und 2008 im Lebensmittelinstitut Oldenburg auf perfluorierte Tenside (PFT) untersucht. In allen 135 Proben war Perfluoroctansulfonsäure (PFOS), in 130 Proben (96 %) auch Perfluoroctansäure (PFOA) nachweisbar. Für Lebensmittel inklusive Wildschweinleber gibt es bislang keine Grenzwerte dieser Stoffe.

Einleitung

Ziel der beiden BÜp-Projekte 1.14 (2007) und 1.4 (2008) war die Schaffung einer bundesweiten Datenbasis für die Risikobewertung von Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) in Lebensmitteln [1,2].

PFOS und PFOA sind die beiden bekanntesten Vertreter der zu den perfluorierten Verbindungen (Perfluorinated Compounds - PFC) zählenden perfluorierten Tenside (PFT), die wegen ihrer chemisch-physikalischen Eigenschaften in vielfältiger Weise industriell genutzt werden.

PFOS weist eine lange Verweilzeit nach Aufnahme im menschlichen Organismus, eine im Tierversuch lebertoxische, krebserregende und reproduktionstoxische Wirkung sowie eine lange Persistenz in der Umwelt und eine Akkumulation in der Nahrungskette auf. Das Vorkommen von PFOS erlangt somit eine besondere toxikologische Bedeutung [4,5].

Daher wurde die Nutzung des als PBT (persistent, bioakkumulierbar, toxisch) -Stoff geltenden PFOS seit 2006 durch EU-Recht (Richtlinie 2006/122/EG) und seit 2008 durch nationale Regelungen (Gefahrstoffverordnung, Chemikalien-Verbotsverordnung) stark eingeschränkt. Seit Mai 2009 steht PFOS außerdem auf der Verbotsliste des Stockholmer Übereinkommens zu persistenten organischen Schadstoffen (Stockholm Convention on Persistent Organic Pollutants - POPs). Das zuständige Expertenkomitee (POPs Review Committee - POPsRC) beschloss auf seiner Sitzung vom 4.-8. Mai 2009 regelmäßige Überprüfungen auf Alternativen bzw. zeitlich begrenzte Ausnahmen für die Verwendung und Herstellung von etwa 200 Chemikalien, die PFOS enthalten. Diese Regelungen betreffen u. a. die Foto-, Metall-, Elektronik-, Öl-, Verpackungs-, Papier- und Textilindustrien, die PFT weltweit einsetzen [3,6,7]. Da zudem eine Aufbrauchsfrist für PFOS-haltige Feuerlöschschäume besteht, ist vorerst weiterhin mit der Freisetzung von PFOS in die Umwelt zu rechnen. Außerdem können PFOS und PFOA auch als Neben- und Abbauprodukte anderer perfluorierten Verbindungen in die Ökosysteme gelangen [3].

Gute Indikatoren für mögliche Umweltkontaminationen in Deutschland sind Wildschweine aufgrund ihrer großflächigen Verbreitung und ihrer Ernährungsweise (Allesfresser). Da Wildschweinleber nicht nur von Jagdgesellschaften verzehrt wird, sondern z. B. als Wildschweinleberwurst auch in den Handel gelangt, kann ihr Verzehr somit nicht unerheblich zur Aufnahme von Kontaminanten beitragen. Nachdem Untersuchungen in Mecklenburg-Vorpommern hohe PFOS-Gehalte in Wildschweinleberproben aufgezeigt hatten [8], erfolgte auch in Niedersachsen eine Beprobung der Jagdstrecken.

Durchführung

Aus 18 niedersächsischen Jagdrevieren stammend wurden von 2007 bis 2008 insgesamt 135 Wildschweine beiderlei Geschlechts und aller Altersklassen (Keiler, Bachen, Überläufer, Frischlinge) beprobt. Die Koordinierung der Probenziehung erfolgte durch LAVES-Dezernat 32. Anschließend wurden die Wildschweinleberproben nach [9] aufgearbeitet und auf die beiden PFT-Leitsubstanzen Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) und Perfluoroctansäure (PFOA) untersucht. Die Quantifizierung der beiden PFT-Verbindungen geschah unter Verwendung von 13C-markierten PFOS- und PFOA-Standards mit Hilfe der HPLC-MS/Ion-Trap-Technik.

Abbildung 1
Abbildung 1: Verteilung der gemessenen PFOS-Gehalte auf die 135 Wildschweinleberproben aus Niedersachsen des BÜp 2007 - 2008

Ergebnis

Sowohl für PFOS als auch für PFOA wurde mit der gewählten Untersuchungsmethode eine Nachweisgrenze von 0,001 mg/kg und eine Bestimmungsgrenze von 0,005 mg/kg erreicht.

PFOS war in allen 135 Proben nachweisbar, wobei der niedrigste PFOS-Gehalt 0,12 mg/kg, der höchste Gehalt 3,48 mg/kg betrug (Abb. 1).

PFOA wurde von nicht nachweisbar (n.n.: 5 Proben) bis zu Gehalten von maximal 0,07 mg/kg in den Proben bestimmt. Die PFOA- und PFOS-Konzentrationen korrelierten nicht miteinander. Die Mittel- bzw. Medianwerte lagen für PFOS mit 0,6 mg/kg bzw. 0,5 mg/kg deutlich über denjenigen für PFOA mit 0,007 mg/kg bzw. 0,006 mg/kg.

In allen Proben war deutlich mehr PFOS als PFOA enthalten, wobei der höchste PFOS-Gehalt mit 3,48 mg/kg in der Leberprobe eines 93-kg-Keilers gemessen wurde. Zwar wiesen Proben älterer Tiere häufiger höhere PFOS-Konzentrationen als diejenigen jüngerer Wildschweine auf, dennoch wurden bei allen Altersstufen und beiden Geschlechtern sowohl relativ hohe als auch vergleichsweise niedrige PFOS-Gehalte beobachtet (Abb. 2).

Abbildung 2
Abbildung 2: PFOS-Gehalte in den niedersächsischen Wildschweinleberproben des BÜp 2007 - 2008, gruppiert nach Geschlecht und Alter der Tiere.

Auch innerhalb der jeweiligen Jagdreviere wurden wiederholt große Unterschiede der PFOS-Konzentration in den einzelnen Leberproben festgestellt. Dadurch kommt es in einigen Regionen zu deutlichen Abweichungen des Maximalwertes (Abb. 3) von dem jeweiligen Mittel- und Medianwert (Abb. 4).

Abbildung 3  
Abbildung 3: Maximalwerte der PFOS-Gehalte in den einzelnen Jagdrevieren
PFOS-Gehalte
Abbildung 4
Abbildung 4: Mittelwerte der PFOS-Gehalte in den einzelnen Jagdrevieren
PFOS-Gehalte

Fazit

Bereits 2 bis 3 g der mit 3,48 mg/kg PFOS am höchsten belasteten Leberprobe hätten genügt, um den TDI (Tolerable Daily Intake) von 0,15 µg/kg Körpergewicht der EFSA [10] für einen 60 kg schweren Menschen auszuschöpfen. Das BVL kommt 2008 dennoch zu dem Schluss, dass aufgrund der geringen Verzehrsmenge die hohen Gehalte in Wildschweinleber für die Aufnahme perfluorierter Verbindungen über Lebensmittel von untergeordneter Bedeutung sind [2]. Auch das BfR hält auf Basis seiner vorliegenden Daten ein Gesundheitsrisiko durch PFOS und PFOA in Lebensmitteln derzeit für unwahrscheinlich [4]. Hingegen veröffentlichte das zuständige Ministerium des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen im Jahr 2008 die Empfehlung, auf den Verzehr von nordrhein-westfälischer Wildschweinleber aufgrund der Kontamination mit PFT und Schwermetallen zu verzichten [11].

Insgesamt stehen die niedersächsischen Daten im Einklang mit den bundesweit erhobenen Daten des BÜp 2007 und 2008 [1,2] als auch den von Baden-Württemberg [13], Hessen [14], Mecklenburg-Vorpommern [8] und Nordrhein-Westfalen [11] veröffentlichten Ergebnissen.

Der Nachweis von PFOS in allen niedersächsischen Leberproben lässt eine überregionale Kontamination der Wildschweinpopulation vermuten. Woher die Kontamination der Wildschweine mit PFT-Stoffen stammt, kann aus den hier erhobenen Daten jedoch nicht abgeleitet werden. Im Jahr 2006 war die Ausbringung von Klärschlämmen und sogenannten Bodenverbesserern als Ursache von PFT-Einträgen in Land- und Forstwirtschaft sowie Wasserkreisläufe bekannt geworden [3,11,12]. Aber auch ein atmosphärischer Eintrag der Perfluortenside, wie z. B. über Aerosole und Regenwasser [3], in die Lebensräume der Wildschweine ist denkbar. Dass Nutzpflanzen PFT-Stoffe aus kontaminierten Böden aufnehmen können, wurde inzwischen ebenfalls dargelegt [15,16]. Da die Tiere zur Nahrungssuche auch auf Ackerflächen gehen und die dort angebauten Feldfrüchte fressen, wären sie somit dortigen PFT-Kontaminationen ausgesetzt. Zur Klärung dieser Thematik sollten weitere Untersuchungen durchgeführt werden.

Literatur

[1] Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Berichte zur Lebensmittelsicherheit 2007 – Bundesweiter Überwachungsplan; www.bvl.bund.de

[2] Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Berichte zur Lebensmittelsicherheit 2008 – Bundesweiter Überwachungsplan; www.bvl.bund.de

[3] Umweltbundesamt, Hintergrundpapier Juli 2009; www.umweltbundesamt.de

[4] Bundesinstitut für Risikobewertung, Stellungnahme 004/2009 vom 11.09.2008; www.bfr.bund.de

[5] Bundesgesundheitsblatt (2009) 52:878-875

[6] Stockholm Convention on Persistent Organic Pollutants (POPs), http://chm.pops.int/

[7] Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Pressemitteilung 19/09 vom 11.05.2009; www.baua.de

[8] Landesamt für Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 2007; www.lalff.de

[9] Waters, Application Note 720001817en; www.waters.com

[10] Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, Nachricht vom 21.07.2008; www.efsa.europa.eu

[11] Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen, 2008; www.lanuv.nrw.de

[12] Niedersächsisches Ministerium für Umwelt und Klimaschutz, 2009; www.mu.niedersachsen.de

[13] Lebensmittelüberwachung Baden-Württemberg, Jahresbericht 2008; www.untersuchungsaemter-bw.de

[14] Landesbetrieb Hessisches Landeslabor, Jahresbericht 2007; www.lhl.hessen.de

[15] Lebensmittelchemie (2009) 63:1–24

[16] Arch Environ Contam Toxicol (2009) 57:289–298

Wildschwein (Keiler)
Wildschweine sind Allesfresser und können aufgrund ihrer Ernährungs- und Lebensweise als Indikatoren für Umweltkontaminationen dienen.

Eine Präsentation der BÜp-Untersuchungsergebnisse aus Niedersachsen erfolgte auch als Poster im Rahmen des 38. Deutschen Lebensmittelchemikertages vom 14.-16.09.2009 in Berlin sowie als Vortrag auf der 2. Jahrestagung der Institute des LAVES, die vom 13.-14.05.2009 in Oldenburg stattfand. Die Poster-Kurzfassung ist zur Veröffentlichung in der Zeitschrift "Lebensmittelchemie" eingereicht worden.

Außerdem wurden 32 Leberproben niedersächsischer Wildschweine im Rahmen des Nationalen Rückstandskontrollplanes (NRKP) 2007 vom Veterinärinstitut Hannover auf PFT analysiert und führten zu einem sehr ähnlichen Ergebnis.

Weitere PFT-Untersuchungen des LAVES:

Rückstände von perfluorierten Tensiden in Fischen aus Niedersächsischen Flüssen

Fische aus Niedersächsischen Aquakulturen kaum mit PFT belastet

Rückstände an Perfluorierten Tensiden (PFT) in Rindern aufgrund belasteter Ackerböden

LAVES untersucht Kartoffeln aus Niedersachsen auf perfluorierte organische Tenside

Wildschwein (Keiler)

Wildschwein (Keiler)

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