Potenz zum Schlucken
Der Markt bietet viele Produkte, die mit Ausdauer, Kraft, Vitalität, Energie und Steigerung der sexuellen Leistungsfähigkeit oder aber mit Sinnlichkeit, zur belebenden Unterstützung der Erotik, heißblütiger Leidenschaft und Ekstase oder auch mit Stoffen für „das beste Stück des Mannes“ und „den Mann mit der Neigung zur sexzessiven Lebensweise“ werben. In den vergangenen Jahren wurden im Lebensmittel- und Veterinärinstitut Braunschweig/Hannover des LAVES 23 verschiedene Produkte in Form von Kapseln, Dragees oder Tropfen zur Beurteilung vorgelegen. 14 der Produkte waren speziell „für den Mann“, acht „für Sie und Ihn“ und eins speziell „für Sie“. |
Professor Dr. med. Siegfried Borelli, deutscher Dermatologe und emeritierter Ordinarius der Technischen Universität München, beschrieb anhand vieler Beispiele 1960 sehr anschaulich, dass das Interesse an derartigen Mitteln schon immer und bis heute die Menschheit begleitet: „Der Begriff Aphrodisiaca umfasst Mittel zur Anregung, Steigerung und Stärkung der Libido sexualis und der geschlechtlichen Leistungsfähigkeit. Die Verordnung und Anwendung von Drogen, die eine Förderung der Sexualkraft bewirken sollten, reicht bis in das Altertum zurück. Kultivierte und unkultivierte Völker hatten und haben ihre Aphrodisiaca. Zu allen Zeiten ist die Liste der sexuellen Reizmittel sehr groß gewesen...“ („Die Wirksamkeit der Sexualanregungsmittel" Archiv für klinische und experimentelle Dermatologie 1960, Volume 211, Issue 1, pp 147-149; Fertilitätsstörungen beim Manne, Handbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten Volume 6 / 3, 1960, pp 737-766).
Zielgruppen für derartige Produkte sind primär männliche Kunden, aber es gibt auch einige Unisex-Produkte „für Sie und Ihn“ und seltener auch Produkte nur „für Sie“.
Neben den bekannten Potenzmitteln, die als Arzneimittel vermarktet werden – ältester und bekanntester Vertreter ist Viagra mit dem Wirkstoff Sildenafil – werden auch Lebensmittel in Form von Pillen, Dragees, Kapseln oder Tropfen im Sinne von Potenzmitteln und Aphrodisiaka angeboten. Die meisten werden in der Lebensmittelkategorie der Nahrungsergänzungsmittel, einige wenige auch als diätetische Lebensmittel in Form ergänzender bilanzierter Diäten auf dem Markt platziert.
Untersuchungen im LAVES
In den Jahren 2010 bis 2014 haben im Lebensmittel- und Veterinärinstitut Braunschweig/Hannover des LAVES 23 verschiedene Produkte in Form von Kapseln, Dragees oder Tropfen zur Beurteilung vorgelegen. Davon waren 21 als Nahrungsergänzungsmittel und 2 als ergänzende bilanzierte Diäten deklariert. 14 der Produkte waren speziell „für den Mann“, acht „für Sie und Ihn“ und eins speziell „für Sie“.
Enthalten waren meist Vitamine und Mineralstoffe, diverse Pflanzen und/oder Pflanzenextrakte, die Aminosäure L-Arginin und andere spezielle Stoffe wie z. B. Rinderhoden, Elchgeweih oder Koffein.
Vitamine und Mineralstoffe – Gehalte und Bewerbung
Während vor 2010 Vitamin- und Mineralstoff-haltige Produkte aus dieser Kategorie beworben wurden mit Wirkungsaussagen wie „Mineralien- und Vitamin-Mix zur Unterstützung Ihrer Sexualität“ finden sich derartige gesundheitsbezogene Angaben heute auf den aktuellen Verpackungen nicht mehr.
Verwendet werden jetzt allgemeine Angaben wie zum Beispiel „Kraft, Vitalität, Energie und Ausdauer“, ergänzt durch spezielle Angaben wie „Vitamin C, Vitamin B2, B6, B12, Niacin, Pantothensäure, Magnesium, Eisen – trägt zur Verringerung von Müdigkeit und Ermüdung bei“ oder „Vitamin C, Vitamin B1, B2, B6, B12, Biotin, Niacin, Magnesium, Eisen etc. – trägt zu einem normalen Energiestoffwechsel bei“.
Wenn Zink enthalten ist, ist auch die Angabe „Zink trägt zur Erhaltung eines normalen Testosteronspiegels im Blut bei“ beliebt, oder wenn Selen enthalten ist „Selen trägt zu einer normalen Spermabildung bei“.
Der Grund dafür ist die sogenannte Health-Claims-Verordnung (VO (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben), die fordert, dass nur noch Angaben verwendet werden dürfen, die wissenschaftlich belegt und auf europäischer Ebene zugelassen worden sind. Allgemein gefasste Angaben müssen erklärend ergänzt werden durch spezielle Angaben (weitere Informationen des BVL zu Health Claims). In der seit Dezember 2012 geltenden Verordnung (EU) Nr. 432/2012 wurden die zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben u. a. zu Vitaminen und Mineralstoffen veröffentlicht.
„Gesundheitsbezogene Angaben“ im Sinne dieser Verordnungen sind Werbeaussagen, die von Anbietern nach eigenem Ermessen und freiwillig auf den Packungen ihrer Produkte oder Werbematerialien verwendet werden.
Die zugelassenen Werbeaussagen für Vitamine und Mineralstoffe sind für alle Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel nur zulässig, wenn sie die geforderte Mindestmenge dieser Mikronährstoffe enthalten.
Beim Vergleich der enthaltenen Mengen an Vitaminen und Mineralstoffen in den „Potenz-Produkten“ mit den Gehalten in marktüblichen Multivitamin-Mineralstoff-Nahrungsergänzungsmitteln zeigt sich, dass diese in einer ähnlichen Größenordnung liegen, mal etwas niedriger, mal etwas höher dosiert.
Auch herkömmliche Lebensmittel können eine gute oder sehr gute Quelle sein für beispielsweise den werbewirksam beworbenen Mikronährstoff Zink. In den Potenzprodukten ist Zink in Mengen von 5-20 mg pro Portion dosiert. Zum Vergleich sind in zwei Scheiben Gouda-Käse (60 g) ca. 2,4 mg, in einer Portion Kalbsleber (150 g) ca. 12,6 mg und in 100 g Austern 22 mg Zink enthalten.
Koffein, entweder in Reinform oder aber als wichtigster Inhaltsstoff von Guarana, einer südamerikanischen Pflanze, ist in 14 der 23 Produkte enthalten und damit die häufigste Zutat neben Vitaminen und Mineralstoffen.
Die deklarierten Mengen Koffein pro empfohlener Tagesdosis der Produkte reichen von 19 mg bis zu 216 mg. Zum Vergleich: Eine Tasse Kaffee (125 ml) enthält je nach Stärke 50–130 mg, ein Espresso 50-60 mg.
Pflanzen – Lebensmittel und neuartige Lebensmittel
Bei der Suche nach „pflanzlichen Aphrodisiaca“ in den Suchmaschinen des Internets zeigt sich eine Fülle an Literatur. Viele Übersichtsarbeiten – Reviews – haben die vorhandene Literatur gesichtet, die dort beschriebenen Wirkungen zusammengetragen und die zugrundeliegenden Studien bewertet.
Stellvertretend wird hier die Veröffentlichung von Anthony J. Bella und Rany Shamloul: „Traditional Plant Aphrodisiacs and Male Sexual Dysfunction“, Phytotherapy Research 28, 831 – 835, 2014 zitiert. Zusammenfassend kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass der Großteil der Studien mit Tieren durchgeführt wurde und nur sehr wenige aussagefähige klinische Studien mit Menschen vorliegen. Eine wissenschaftlich gesicherte Wirkung der am häufigsten in pflanzlichen Potenzmitteln verwendeten Pflanzen wie Tribulus Terrestris (Erdsternchen oder Erdstachelnuss), Epimedium herba (Elfenblume), Muira puama (Potenzholz) und Lepidium meyenii (Maca) liegt danach nicht vor. Für Ginseng fand sich in einer doppelblind placebo-kontrollierten Studie eine diskrete Verbesserung der erektilen Dysfunktion bei den Studienteilnehmern im Vergleich mit einem Placebo.
Alle im Artikel genannten Pflanzen waren auch in diversen der Produkte enthalten, die im LAVES zur Untersuchung vorgelegen haben.
Enthalten waren aber auch Pflanzen bzw. Pflanzenteile, die zu den üblichen Lebensmitteln zählen wie z. B. Buchweizen, Hafer, Kürbiskerne, Süßholzwurzel, Tee (Camilla sinensis) oder Gewürze wie Ingwer, Pfeffer, Anisöl, Basilikumöl, Pfefferminzöl, Rosmarinöl u. a.
Nach Professor Borelli wurden auch weiteren Lebensmitteln stimulierende Eigenschaften nachgesagt wie z. B. Hülsenfrüchten, Zwiebeln, Knoblauch, Koriander, Spinat, Spargel, Majoran, Safran, Gerste, Weizen, Äpfeln, Pinienkernen und anderen Nüssen, auch Honig und Salz.
Vereinzelt waren auch Pflanzen wie weißes Kwao Krua (Pueraria mirifica), Tongkat Ali (Eurycoma longifolia), Besenreifkraut (Cistanches herba), Juckbohne (Mucuna pruriens) und Sandmalve (Sida cordifolia) in den Produkten enthalten. Alle Pflanzen sind im europäischen Wirtschaftsraum keine traditionellen Lebensmittelpflanzen und ihre Sicherheit müsste im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens nach der Verordnung für neuartige Lebensmittel (258/97) geprüft und bestätigt werden. Sie wurden alle als neuartige Lebensmittelzutaten beurteilt und sind damit nicht zulässig.
Aminosäure L-Arginin und Potenzschwäche
In einigen der Nahrungsergänzungsmitteln „für den Mann“, besonders aber in ergänzenden bilanzierten Diäten „zur diätetischen Behandlung von Potenzschwäche bzw. zur Verbesserung der Erektionsfähigkeit“ ist meist die Aminosäure L-Arginin enthalten, zum Teil als alleinige Zutat, zum Teil kombiniert mit Vitaminen und Pflanzen.
Die medizinische Bezeichnung für „Potenzschwäche“ oder „verminderte Erektionsfähigkeit“ lautet „erektile Dysfunktion“ bzw. in englischer Sprache „erectile dysfunction“.
In den Informationen der Urologischen Klinik München-Planegg und der Leitlinie der European Association of Urology (EAU) finden sich hierzu folgende Erklärungen: „Als erektile Dysfunktion wird eine chronische Erektionsstörung von mindestens sechs-monatiger Dauer definiert, wobei mindestens 70 % der coitalen Versuche erfolglos waren“. Hier werden auch mögliche Ursachen und Therapiemöglichkeiten beschrieben.
Grundsätzlich wird dazu geraten mögliche Ursachen einer Potenzstörung abzuklären. Falls behandelbare organische Ursachen zugrunde liegen, dann ist die Therapie der Wahl die Behandlung dieser Ursachen. Die Apotheken-Umschau gibt hierzu den wichtigen Ratschlag: „Gefährden Sie nicht Ihre Gesundheit durch falsche Scham, sondern geben Sie sich einen Ruck und sprechen Sie offen mit Ihrem Hausarzt oder Urologen.“
Zufuhr von L-Arginin in Tablettenform wird von medizinischen Fachleuten nicht als Behandlungsmöglichkeit einer erektilen Dysfunktion oder zur Verbesserung der Erektionsfähigkeit genannt (siehe auch: Leitlinie „Erektile Dysfunktion, Diagnostik und Therapie“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie).
Mehr Informationen:
Verbraucherzentrale: Arginin - eine Aminosäure mit Potenz?
Auch Fleisch galt allgemein – so Borelli - als stimulierend, so dass alle, die auf Enthaltsamkeit hielten, wenigstens während bestimmter Zeiten mäßig oder gar kein Fleisch verzehrten. Ebenso zählte das Fleisch von Hasen, Hirschen, Igeln aber auch von bestimmten Fischen, Tintenfisch und Schnecken dazu.
An diese Vorstellungen knüpfen wohl die Zutat von Rinderhoden bei zwei Produkten und die Zutat Elchgeweih bei einem Präparat an.
Hoden dürfen in Europa als Lebensmittel verwendet werden. Elchgeweih wurde als neuartiges Lebensmittel im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 258/97 beurteilt.
Sildenafil und seine Abkömmlinge
Sildenafil, der Wirkstoff des bekannten Potenzmittels Viagra, wurde in zwei Produkten in geringen Mengen unterhalb der in Arzneimitteln verwendeten Dosierungen nachgewiesen. Es handelte sich um ein chinesisches und ein niederländisches Produkt. Deklariert war der Gehalt nicht. Unabhängig davon, dass die Verwendung dieses Arzneistoffes in Lebensmitteln nicht zulässig ist, kann auch bei den nachgewiesenen Mengen nicht ausgeschlossen werden, dass unerwünschte Nebenwirkungen auftreten. Viele Meldungen im europäischen Schnellwarnsystem zeigen, dass dieser Wirkstoff bzw. Abkömmlinge davon immer wieder entsprechenden Nahrungsergänzungsmitteln zugesetzt wird. Dieses kann auch als Hinweis darauf gewertet werden, dass Hersteller an die Wirksamkeit ihrer „natürlichen“ Potenzmittel und Aphrodisiaka selbst nicht glauben.
Auf die Gesundheitsgefahr, die damit verbunden sein kann, wurde mehrfach so auch 2007 vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hingewiesen und davor gewarnt, entsprechende Produkte aus unsicheren Quellen zu beziehen (Ärzteblatt: Bundesinstitut warnt vor Potenzmitteln aus dem Internet).
Dass Sildenafil im Bereich der Aphrodisiaka neben seiner arzneilichen Wirkung bei erektiler Dysfunktion auch Einfluss genommen hat auf den Verbrauch der „aphrodisierenden Naturstoffe“ beschreibt ein Artikel im Deutschen Ärzteblatt (2008): „Das Mittel war etwas vollkommen Neues, weil es weder Hormone enthält noch sexuell stimulierend wirkt. Jahrtausende lang gab es nichts anderes als – teils gefährliche, teils nutzlose – Aphrodisiaka, von Strychnin oder Amphetaminen über „Naturstoffe“, wie Yohimbin oder Nashornpulver, bis zum „Tonikum“ Okasa. Netter Nebeneffekt: Artenschutz durch Viagra. Aphrodisiaka werden in Asien und Afrika gern aus tierischen Stoffen gewonnen. Die Jagd auf bedrohte Tierarten soll seit der Einführung des chemischen Aufbauhelfers zurückgegangen sein.“ (Westhoff, Justin: Zehn Jahre Viagra – Sexuelle Revolution – die wievielte? Deutsches Ärzteblatt Jg. 105, Heft 13, 28. März 2008, S. A679).
Zusammenfassend wird bezüglich „aphrodisierender Naturstoffe“ noch einmal Herr Professor Borelli zitiert, an seiner Aussage von 1960 hat sich bis heute nichts geändert: „Der Volksglaube hat stets vielen Drogen eine sexuell anregende Wirkung zugeschrieben. Aber keine derselben hat sich auf die Dauer als ein für den anzustrebenden Effekt in jedem Falle verlässliches Mittel erwiesen.“