Semicarbazid (SEM) in Lebensmitteln
Im Frühsommer 2003 ging über das Schnellwarnsystem der Europäischen Kommission die Mitteilung ein, dass in Geflügelfleisch aus Portugal Semicarbazid (SEM) nachgewiesen wurde. SEM wird als Indikator für die Anwendung des Antibiotikums Nitrofural (früher: Nitrofurazon) genutzt, da es ein Abbauprodukt (Metabolit) dieses Antibiotikums ist. Die Anwendung von Nitrofural, das zur Gruppe der Nitrofurane gehört, ist in der EU verboten.
In Portugal hatte man nach Einführung einer neuen Untersuchungsmethode in zahlreichen Proben Nitrofuranmetabolite nachweisen können. Auch in Lebensmitteln, die aus Drittländern in die EU-Mitgliedstaaten eingeführt wurden, konnte SEM nachgewiesen werden, insbesondere in Geflügelfleisch und Meerestieren.
Vor diesem Hintergrund wurden Geflügel-, Schweine- und Kaninchenfleisch sowie Meerestiere im Rahmen der Nationalen Rückstandskontrollpläne der Bundesländer für das Jahr 2003 verstärkt auf Nitrofurane untersucht.
SEM in tierischen Lebensmitteln wurde seinerzeit ausschließlich als Hinweis auf eine illegale Anwendung von Nitrofural an Lebensmittel liefernden Tieren gesehen.
SEM in PVC-Dichtungen
Mitte des Jahres 2003 stellte sich heraus, dass SEM auch in rein pflanzlichen Lebensmitteln wie Fruchtsäften, Marmeladen, Honig, Konserven, Essig- und Haltbargemüse, Babynahrung, Mayonnaise, Senf, Soßen und Ketchup nachweisbar ist. Da hier die Verwendung von Nitrofurazon ausgeschlossen werden konnte, gab dieser Befund Rätsel auf. Die Lebensmittel hatten eines gemeinsam: sie wurden in Gläsern oder Flaschen mit Schraubverschluss angeboten. Wie aber war SEM in diesem Fall in die Lebensmittelkette gelangt? Man vermutete, dass möglicherweise Stoffe in Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, an dieser Verunreinigung beteiligt sind. Schließlich wurde SEM in PVC-Dichtungen von Metalldeckeln gefunden, die vielfach bei Gläsern mit Schraubverschluss eingesetzt werden, um diese hermetisch abzuschließen. Damit wird die mikrobiologische Lebensmittelsicherheit gewährleistet. Experten vermuten, dass SEM aus dem in der EU zulässigen Schäumungsmittel Azodicarbonamid entsteht, das bei der Herstellung von Dichtungen verwendet wird. Offenbar kann es im Sterilisationsprozess freigesetzt werden. Vor diesem Hintergrund untersuchte das Veterinärinstitut Oldenburg 47 Proben Babynahrung auf SEM.
In 46 dieser Proben konnte SEM in Konzentrationen bis zu 62,7 µg/kg Babynahrung nachgewiesen werden. Nachweismethode war Hochdruckflüssigchromatographie mit massenspektrometrischer Detektion.
Kontaminanten wie SEM sind in Lebensmitteln generell unerwünscht. Nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens ist keine abschließende toxikologische Bewertung von SEM möglich, da insbesondere die Datenlage zur möglichen Gesundheitsgefährdung von Menschen ungenügend ist. Trotz der bestehenden Unsicherheit, ob ein Risiko vorliegt, ist die Industrie dringend gefordert, alternative Technologien für das Schäumen der Dichtungsmassen zu entwickeln, die zur Reduktion, bzw. Vermeidung der SEM-Belastung führen, ohne auf den hohen Standard für die mikrobiologische Sicherheit der Lebensmittel zu verzichten.
Probenuntersuchungen
Im Rahmen des nationalen Rückstandskontrollplanes und der amtlichen Lebensmittelüberwachung wurden außerdem 569 Lebensmittel tierischer Herkunft in den Veterinärinstituten Oldenburg, Hannover und Cuxhaven auf Nitrofurane untersucht - hauptsächlich Eier, Eiprodukte, Geflügelfleisch, Schweinefleisch, Meerestiere und Aquakulturen.
Von diesen untersuchten Proben wurden fünf aufgrund eines positiven SEM-Befundes beanstandet. Es handelte sich bei den positiven Proben ausschließlich um Garnelen.
Das Institut für Bedarfsgegenstände in Lüneburg untersuchte im vergangenen Jahr 14 Proben Kunststoff-Verpackungsmaterial auf SEM, darunter auch die Originalverpackungen der positiv befundenen Garnelen. Keine Probe des untersuchten Verpackungsmaterials wies SEM auf, so dass eine Kontamination der beanstandeten Garnelen durch die Verpackungen auszuschließen ist. In diesen Fällen ist von einer illegalen Verwendung des in der EU verbotenen Antibiotikums Nitrofural auszugehen. Die Lebensmittel wurden aus dem Verkehr genommen.
Babynahrung im Glas