"Die Anforderungen steigen ständig": Dr. Brigitte Thoms, Leiterin des LVI BS/H, im Gespräch anlässlich des Tages der offenen Tür
Frage: Seit 108 Jahren gibt es am Standort Braunschweig eine amtliche Lebensmittelüberwachung. Was wurde denn damals kontrolliert und untersucht?
Thoms: Das Institut wurde 1910 als „Untersuchungsstelle für Nahrungs- und Genussmittel und Gebrauchsgegenstände“ in Verbindung mit dem Laboratorium für Nahrungsmittelchemie an der herzoglichen technischen Hochschule Braunschweig gegründet. Es war eine staatliche Anstalt und hatte die Aufgabe, ausschließlich amtlich entnommene Proben zu untersuchen. Auch damals ging es neben der Prüfung auf Gesundheitsschädigung bereits um Verfälschung von Lebensmitteln.
Frage: Welche Schwerpunkte hat das Institut heute?
Thoms: Die nun im LAVES zusammengeführten ehemaligen Untersuchungsämter sind heute stark spezialisiert. Das Institut am Standort Braunschweig ist zuständig für verarbeitete Lebensmittel und Lebensmittel pflanzlicher Herkunft, Getränke aller Art und Wein, Honig und Nahrungsergänzungsmittel. Wir haben zudem den landesweiten Untersuchungsschwerpunkt für Mykotoxine, Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Organismen und Analytik von Nanopartikeln in Lebensmitteln.
Frage: Was bringt die Arbeit des Lebensmittelinstituts eigentlich den Menschen in Niedersachsen, etwa wenn Sie Honig, Brotaufstriche oder Desserts untersuchen?
Thoms: Durch die risikoorientierte, gezielte und unangekündigte Probenahme sowie die unabhängige Untersuchung, sorgen wir dafür, dass der Verbraucher sichere Lebensmittel am Markt erhält und nicht getäuscht wird. Dafür verfügen unsere Lebensmittelchemiker über Spezialwissen für die verschiedenen Lebensmittelgruppen. Neben der Untersuchung ist ja auch eine wichtige Aufgabe der Wissenschaftler die rechtliche Beurteilung der Proben vorzunehmen.
Frage: Der Tag der offenen Tür steht unter dem Motto "Lebensmittel - aber sicher!" - Wie sicher sind Lebensmittel denn heute? Es werden ja immer wieder Lebensmittelskandale bekannt.
Thoms: In Europa verfügen wir über sehr sichere Lebensmittel! Dies gilt insbesondere für gesundheitsgefährdende Lebensmittel. Im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen – wie auch in anderen Lebensbereichen – oft Skandale und Fälle, in denen Lebensmittel nicht rechtskonform sind. Die Beanstandungsquoten liegen je nach Lebensmittel zwischen wenigen und bis zu 50 Prozent der untersuchten Proben. Dieser relativ hohe Prozentsatz liegt auch an der risikoorientierten Beprobung und Untersuchung. Proben, die geeignet sind, die Gesundheit zu schädigen sind glücklicherweise selten. Aber eines ist klar: 100-prozentige Sicherheit kann man auch in diesem Bereich nicht garantieren.
Frage: Was sind denn aktuell die größten Probleme?
Thoms: Die meisten Verstöße werden bei der Kennzeichnung festgestellt. Oder der Verbraucher wird getäuscht („food fraud“). Das ist beispielsweise der Fall, wenn angeblich hochwertiges Olivenöl in Wahrheit mit billigerem Pflanzenöl anderer Herkunft gestreckt ist. Die vielfältigen oft unübersichtlichen Warenströme innerhalb der EU haben das Thema food fraud in den letzten Jahren stark in den Vordergrund treten lassen. Wir greifen es deshalb bewusst am Tag der offenen Tür auf.
Frage: Ist Lebensmittelüberwachung heute anspruchsvoller, komplizierter, aufwendiger als noch vor 10 oder 20 Jahren?
Thoms: Die Anforderungen steigen ständig. Einerseits durch immer besser werdende Analytik, andererseits durch immer komplexere Regelungen im Lebensmittelrecht. Geräte, die niedrigere Nachweisgrenzen für Stoffe ermöglichen, führen zu Befunden, wo vorher keine möglich waren. Die Risikobewertung vieler Stoffklassen und Stoffe, einschließlich deren Abbauprodukte, führt zu neuen Einschätzungen und in der Folge geänderten Untersuchungsanforderungen. Das bedeutet eine ständige Anpassung, Weiterentwicklung und Neuentwicklung von Methoden. Neben den amtlichen Untersuchungen, die die Institute des LAVES durchführen sind aber auch die Lebensmittelunternehmer verpflichtet Eigenkontrollen durchzuführen. Die Vermeidung von Gesundheitsgefahren sollte dabei im Focus stehen.
Frage: Was ist das Exotischste, was das Institut je untersucht hat?
Antwort: Da fallen mir auf Anhieb tausendjährige chinesische Eier ein. Oder Kolostrumprodukte (also aus Biestmilch* vom Rind), die zu Nahrungsergänzungsmitteln verarbeitet werden. Und dann gab es noch „Tidbits: Meeresfrüchte für Hunde „Belohnung ohne Reue“ - „Schmecken auch Frauchen und Herrchen“.
Zur Person: Dr. Brigitte Thoms leitet das Lebensmittel- und Veterinärinstitut Braunschweig/Hannover, seitdem dieses 2011 durch die Zusammenlegung des Veterinärinstituts Hannover und des Lebensmittelinstituts Braunschweig entstand. Zuvor führte sie seit 2005 bereits das Institut in Hannover und seit 2006 zusätzlich auch das Institut in Braunschweig. Die 60-Jährige hatte zunächst eine Ausbildung zur Medizinisch-technischen Assistentin absolviert. Später studierte sie Veterinärmedizin an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Anschließend war sie unter anderem in der Lebensmitteluntersuchung bei der Bundeswehr tätig. Ihr damaliger Dienstherr ermöglichte ihr auch die Teilnahme an der Ruderweltmeisterschaft 1985 in Belgien, wo sie Vize-Weltmeisterin im Leichtgewichts-Doppelzweier wurde. Den Sport übt die Mutter eines Sohnes bis heute erfolgreich aus.
*die erste Substanz, die nach einer Trächtigkeit von den Milchdrüsen produziert und ausgeschieden wird. Bei Kühen wird das meist dickflüssige und gelbliche Kolostrum auch als Biestmilch bezeichnet.
Artikel-Informationen
erstellt am:
16.08.2018
Ansprechpartner/in:
Hiltrud Schrandt
Nds. Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
Leiterin Pressestelle
Röverskamp 5
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